Führende Ökonomen werfen EZB und Fed mangelnde Unabhängigkeit vor

Führende Ökonomen kritisieren die mangelnde Unabhängigkeit der Geldpolitik in Europa und den USA. Sie werfen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed) in der Finanz- und Schuldenkrise eine zu große Nähe zur Politik vor. „Die Fed hat weite Teile ihrer Unabhängigkeit geopfert“, sagte der renommierte Ökonom Allan Meltzer von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh der „Welt am Sonntag“.

„Es ist nicht das erste Mal, dass die Fed das tut – aber diesmal ist es am extremsten. Die Folge werden Inflation und eine weitere Abwertung des Dollar sein.“ Ähnlich harsch fällt die Kritik vieler Experten am Kurs der Euro-Notenbank aus. „Die EZB setzt ihre Unabhängigkeit leichtfertig aufs Spiel. In der Vergangenheit ist das immer schlecht ausgegangen, wenn eine Notenbank sich zum Gehilfen der Finanzpolitik gemacht hat“, sagt Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld, der Zeitung. Die Unabhängigkeit einer Notenbank gilt unter Experten als wichtigster Schutz gegen eine zu lockere Geldpolitik, die zu Inflation führen kann. Besonders umstritten sind derzeit die Kaufprogramme für Staatsanleihen. Die Fed nutzt dieses Instrument seit Jahren in großem Stil, um die Konjunktur anzukurbeln. Die EZB hat unbegrenzte Anleihekäufe in Aussicht gestellt, um Krisenländer wie Spanien und Italien zu stützen. Dass sich die Zentralbanker immer stärker nach den Wünschen der Politik richten, liege vor allem daran, dass die Notenbank in der Euro-Krise in ein Dilemma geraten sei, sagt Thomas Mayer, früherer Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Die Finanzstabilität ist plötzlich ein größeres Problem als die Preisstabilität.“ Denn wenn Banken und Staaten in die Pleite rutschen, droht das Wirtschaftssystem Knall auf Fall zu kollabieren – während eine Inflation eher eine schleichende Gefahr ist. „Wenn die Notenbank nur eines der beiden Ziele erreichen kann, wird sie immer zuerst auf Finanzstabilität aus sein und das Thema Preisstabilität zurückstellen.“ Nach Ansicht der Experten hat die Politik die Lösung der Krise auch bewusst auf die Notenbanken abgewälzt. So taten die EU-Regierungen zuletzt eher wenig, um die Lage in Spanien zu stabilisieren, und setzten damit die EZB unter Zugzwang. Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der London School of Economics (LSE) spricht von einem „Rollentausch“: „Weil sich die Finanzpolitik als unfähig erweist, mit dem europäischen Schuldenproblem fertigzuwerden, haben die Notenbanken zum Teil ihre Aufgaben übernommen. Für eine Notenbank wie die EZB ist das auf Dauer eine Zumutung, weil es die Notenbanker in kaum lösbare Zielkonflikte bringt.“ Ob die EZB dieses Spiel hätte mitspielen müssen, ist umstritten. „Die Zentralbanken sind eingeknickt“, sagte der renommierte US-Ökonom Michael Bordo der Zeitung. „Sie haben in der Finanzkrise ihre Unabhängigkeit geopfert, und es ist keineswegs eindeutig, dass sie das tun mussten.“ In Kriegen sei es fast unvermeidlich, dass die Unabhängigkeit der Notenbank auf der Strecke bleibe, sagt auch der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. Auf Finanzkrisen sei das aber nicht eins zu eins übertragbar, so Issing: „Die Unabhängigkeit der Notenbank kann viel schlechtes Wetter aushalten – wenn die Notenbank selbst dazu steht.“