Trampelpfade für Veränderung

Alexander Groth erklärt Führungskräften weltweit, wie sie ihre Mitarbeiter motivieren, sich zu verändern. Auch für ältere Menschen ist es oft lebenswichtig, ihren Lebenswandel umzustellen. Im Studiengang „Integrierte Gerontologie“ der Universität Stuttgart bringt Groth den Studierenden deshalb die Prinzipien der Veränderung nahe. Sein Credo: Auch alte Gewohnheiten können geändert werden – wenn drei Schlüsselfaktoren beachtet werden.

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Für ältere Menschen ist es oft lebenswichtig, ihren Lebenswandel umzustellen.

Nichts fällt Menschen schwerer, als sich zu verändern. Wer sich das vor Augen führen will, muss in eine Herzklinik gehen. Die Ärztin Dr. Annegret Schultka-Müller hat dreizehn Jahre lang in einer kardiologischen Reha-Klinik gearbeitet und resümiert: „Veränderung ist das Schwierigste überhaupt. Ich habe kaum jemanden erlebt, der freiwillig etwas an seinen Lebensumständen verändert hätte, damit es ihm besser geht.“ Die ernüchternde Berufserfahrung der Herz-Expertin deckt sich mit Statistiken, die Alexander Groth, Dozent für Change Management an der Universität Stuttgart, anführt. „Mehr als eine halbe Million Menschen bekommen jährlich in Deutschland einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Doch 90 Prozent davon verändern ihren Lebenswandel nicht und verkürzen ihr Leben damit um Jahrzehnte.“

Selbst der Schrecken von Krankheit und Tod reicht meistens nicht, um Menschen zur Veränderung zu motivieren. Weniger Stress, gesündere Ernährung, mehr Bewegung: Die Allermeisten wissen recht genau, was ihnen gut tun würde: Was ihr Herz zum Schlagen bringt und dem Leben neuen Schwung verleiht. Und dennoch tun sie es nicht. Es gibt kaum eine stärkere Kraft als alte Gewohnheiten, hat Dr. Schultka-Müller festgestellt. In der Klinik, unter einem gewissen Druck, haben ihre Patienten Dinge verändert. „Wenn sie dann aber nach Hause kommen, halten sie die guten Vorsätze unter den Zwängen des Alltags nicht mehr durch“, sagt die Ärztin. „Wenn die Leute nach ein paar Jahren wieder in die Klinik kommen, ist davon nichts mehr übrig.“

Der erste Schlüssel, um eingefahrene Gewohnheiten zu durchbrechen, ist die Konzentration aufs Wesentliche, sagt Alexander Groth. Er nennt das Beispiel des amerikanischen Kardiologen Dean Ornishs, der in einer Testreihe 77 Prozent seiner Herzpatienten zur dauerhaften Veränderung ihrer Gewohnheiten geführt hat – im Gegensatz zu 10 Prozent der Patienten, bei denen sonst eine dauerhafte Umstellung erreicht wird. „Ornish hat sich auf den kritischen Faktor konzentriert. Er hat an verschiedenen Knöpfen gedreht, aber das Wichtigste ist die Bewegung“, erklärt Groth.
Wer Menschen zu viel Veränderung auf einmal auferlegt – vom Essen über das Schlafverhalten zum Sport – der überfordert sie. Das Resultat: Es passiert gar nichts. Das entspricht ganz den Erlebnissen Schultka-Müllers in ihrer Berufspraxis: „Ärzte geben ja gerne viele Verbote. Wichtig ist es, die Ziele so niedrig wie möglich zu stellen, damit sie auch erreichbar bleiben.“ Ihren Patienten hat sie zum Beispiel ganz pragmatisch geraten, nach der Arbeit 20 Minuten spazieren zu gehen.

Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht alles, sondern das Richtige zu tun: Im Fall älterer Menschen und bei den meisten Beschwerden und Krankheiten heißt das, sich zu bewegen. Der menschliche Körper ist auf Bewegung geeicht, sie ist noch wichtiger als gute Ernährung. Dafür muss man erst einmal in Gang kommen. Der zweite Schlüssel zu neuen Gewohnheiten ist laut Groth deshalb ein starker Anfangsimpuls. Er verwendet das Bild eines Trampelpfads: Wer sich einen Weg durch eine Wiese bahnt und ihn nur gelegentlich beschreitet, wird erleben, dass sich das Gras jedes Mal wieder aufrichtet. „Wenn man den Weg oft geht, ist das Gras niedergedrückt und man hat einen richtigen Pfad“, so Groth. Ähnlich funktioniert das menschliche Gehirn: Nur wenn eine neue Übung häufig in kurzer Zeit getan wird, bilden sich neuronale Verknüpfungen, die bleiben.

Auch Ornish hatte mit dieser Methode Erfolg: In den ersten drei Monaten seiner Versuchsreihe hat er seine Übungsgruppe drei Mal pro Woche für vier Stunden versammelt: Das reichte, um einen Trampelpfad im Kopf anzulegen. Nach dem intensiven Anfangsimpuls genügte ein wöchentliches Treffen – die Patienten hielten trotzdem an ihren veränderten Gewohnheiten fest. Dazu kommt die positive Wirkung schneller Erfolgserlebnisse: Die Brustschmerzen der Herzpatienten sind nach wenigen Wochen weg gewesen: Das trieb sie an, weiterzumachen.

Damit ein Mensch sich auf Veränderung einlässt, sind diese zwei Dinge wichtig: Den wichtigsten Faktor zu ermitteln, der verändert werden muss – das heißt, in die richtige Richtung loszugehen. Wer losgeht, muss dies am Anfang intensiv und häufig tun, um den Trampelpfad der Veränderung zu festigen. Dann muss ein dritter Punkt dazu kommen: Positive Emotionen. Nur wer Spaß und Freude hat, wird auch auf der Langstrecke dabei bleiben. Ornish schaffte das mit einem Team topmotivierter Trainer, die sich viel Zeit für die Patienten nahmen und Zuversicht und Begeisterung ausstrahlten.
Auch Dr. Schultka-Müller bekräftigt die Bedeutung positiver Emotionen. Seit einigen Jahren begleitet sie als Ärztin eine Koronarsportgruppe, deren Teilnehmer alle grundsätzlich motiviert sind – schließlich treffen sie sich freiwillig, um Sport zu machen. Und doch hat sie eine aufschlussreiche Beobachtung gemacht: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen zwei Trainingsleitern. Der Eine gibt den Leuten das Gefühl, dass jeder Einzelne etwas Besonderes ist und etwas Tolles leistet. Da ist die Übungsgruppe immer voll. Bei einem anderen, der die gleichen Übungen macht, kommen nicht alle.“ Der Unterschied: Beim Zweiten überwiegt das Pflichtgefühl, und das steckt weniger an als die Begeisterung des Ersten.

Die Konzentration aufs Wesentliche, ein starker Anfangsimpuls, positive Emotionen: Drei Faktoren, die Veränderung möglich machen. Bei Senioren mit alterstypischen Krankheiten genauso wie bei den Mitarbeitern in einem großen Konzern. Für jeden bleibt es eine Herausforderung, die Trampelpfade der Veränderung nicht vor dem gesteckten Ziel zu verlassen. Dr. Schultka-Müller ist inzwischen 64 Jahre alt und in Altersteilzeit gegangen. Dennoch will sie sich weiter entwickeln und studiert deshalb Integrierte Gerontologie. „Ich suche die Herausforderung und kann mir auch gut vorstellen, freiberuflich als Beraterin zu arbeiten.“ Ihre reichen Erfahrungen als Ärztin in Kombination mit dem Wissen, das sie von Alexander Groth und den anderen Dozierenden des Masterstudiengangs lernt, bilden dafür eine gute Grundlage.
Dass die Vorlesungen und Kurse zu einem Großteil online stattfinden, bedeutet für sie selbst eine Umstellung – und damit Anreiz zu Veränderung. Bisher klappt das sehr gut. Und wenn es mit einem hartnäckigen Computerproblem trotzdem nicht klappt, hat sie immer noch eine ganz pragmatische Lösung: Sie ruft ihre Kinder an.

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Der Studiengang Integrierte Gerontologie an der Universität Stuttgart verbindet gerontologische Fragestellungen mit ingenieur-, sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Inhalten und macht Sie zu Änderungsmanagern/innen des demographischen Wandels. Werden Sie auf der Basis Ihres Studiums der Architektur, Ingenieur-, Sozial-, oder Sportwissenschaften, im Gesundheitswesen oder der Verwaltung zu Experten/innen fu?r Fragen des gelingenden Alterns und Alters. Mit dem erworbenen interdisziplinären Wissen aus der Altersforschung können Sie fundierte Konzepte in einem enorm wachsenden und zukunftsweisenden Berufsfeld entwickeln.

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