Führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Vertreter der schwarz-gelben Koalition werben dafür, den Spar- und Reformbemühungen in Deutschland neuen Schub zu geben. Das Land brauche „einen reformpolitischen Neustart“, sagte Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), der „Welt am Sonntag“. „Denn derzeit“, so Hüther mit Verweis auf die weitreichenden Sozialreformen der Nullerjahre, „zehren wir von den Anstrengungen, die mit der Agenda 2010 unternommen haben. Es wäre eine politische Führungsausgabe, jetzt für Reformen zu werben und sie in Angriff zu nehmen.“
Die Deutschen müssten „aufpassen, dass wir nicht zurückfallen und das verschenken, was wir uns mühsam erarbeitet haben“. An Problembewusstsein mangelt es in den Regierungsparteien nicht. „Wenn es einem gut geht, ist es die beste Zeit, an Strukturen zu arbeiten“, sagte Michael Meister, CDU-Finanzexperte und Unions-Fraktionsvize im Bundestag. „Wir müssen heute die die Grundlagen für den Erfolg von morgen legen. Auch in Deutschland gibt es noch viel zu verbessern, ob in der Steuerpolitik oder den sozialen Sicherungssystemen.“ Allerdings ist man selbst in der Koalition skeptisch, ob solchen Worten auch Taten folgen. „Der fatale Fehler moderner sozialstaatlicher Demokratien ist es, dass man sich auf den Lorbeeren erfolgreicher Reformen ausruht“, sagte Otto Fricke, der haushaltspolitische Sprecher der FDP. „Die Fehler in Deutschland werden immer dann gemacht, wenn wirtschaftlich gut läuft. Das droht jetzt wieder.“ Der Ökonomieprofessor Bert Rürup, der einer der geistigen Väter der Wirtschaftsreformen in der Ära Schröder war, ist inzwischen ähnlich ernüchtert: „In Lehrbüchern steht zwar, dass es in guten Zeiten einfacher ist, unpopuläre Reformen durchzusetzen.“ Die Realität sehe aber anders aus, so Rürup: „Die derzeit wirtschaftlich gute Performance Deutschlands macht es jeder Regierung schwer, unbequeme Reformprojekte anzupacken, auch wenn sie unabweisbar sind.“