Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker im Interview
Der Diplom-Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker ist angesehener Umwelt- und Globalisierungsexperte und derzeit als Co-Vorsitzender des International Resource Panel aktiv – einem UN-Ausschuss für Nachhaltigkeit. In seinem Buch „Faktor Fünf: die Formel für nachhaltiges Wachstum“ plädiert er für eine weltweite grüne Innovationswelle.
Der Weltgipfel Rio+20 lieferte ein enttäuschendes Resultat. Dennoch führt kein Weg an weitreichenden Änderungen vorbei, um die Welt lebenswert zu halten. Wie geht das zusammen?
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Der Rio+20-Gipfel war völlig wirtschaftsgesteuert. Die Entwicklungsländer scheinen das Thema Umwelt lediglich als Wachstumshemmnis wahrzunehmen. Sie wollten sich nur bewegen, wenn der Norden ihnen alles bezahlt, was in Richtung „Green Economy“ führt. Das aber ist in Zeiten der großen Staatsverschuldung vollkommen unrealistisch. Ohne eine Kursänderung der Wirtschaft selber ist eine Lösung nicht in Sicht.
Aktuell erarbeitet die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ einen Aktionsplan, um Ressourcenverbrauch vom Wachstum abzukoppeln. Kann dieser Ansatz die Lösung sein?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Wenn es in der konfliktgeladenen Kommission zu einer Einigung auf einen Aktionsplan kommt, wäre ich schon sehr glücklich. Ich fürchte jedoch, eine solche Einigung kann nur erfolgen, wenn sich die Kommission weiterhin einer Illusion hingibt, nämlich dass die Entkopplung auch ohne eine strategische Verteuerung von Energie und Primärrohstoffen zustande kommen kann. Ohne strategische Verteuerung wird ein Aktionsplan jedoch weitgehend wirkungslos bleiben.
In Ihrem neusten Buch „Faktor Fünf“ entwerfen Sie eine Formel für nachhaltiges Wachstum. Darin plädieren Sie unter anderem für einen „grünen Innovationszyklus“. Können Sie Ihre Vision umreißen?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Technisch ist es möglich, mit Energie und Primärrohstoffen fünfmal so effizient umzugehen wie bisher. In unserem mit einem australischen Autorenteam geschriebenen Buch beleuchten wir diese Potenziale für vier besonders wichtige Sektoren: Gebäude, Industrie, Landwirtschaft und Verkehr. Das Passivhaus ist der Star bei Gebäuden. Hier ist eine Senkung des Energiebedarfs um den Faktor zehn möglich. Bei der Industrie kommt es sehr auf die Kaskadennutzung von Energie und Rohstoffen an. Bei der Landwirtschaft muss Flächen- und Energieproduktivität wichtiger werden als Arbeitsproduktivität, und die Wasservergeudung muss ein Ende haben. Beim Thema Verkehr geht es einerseits um gut dreifach effizientere Vehikel, andererseits um eine Neugestaltung der Logistik sowie um eine Siedlungsplanung, durch die viele Verkehrswege überflüssig werden.
Sie sind Co-Chair des internationalen Ressourcen-Panels des UNEP. Wie können wir Rohstoffe effizienter nutzen? Welche Rolle kommt dabei dem Recycling bzw. der Recyclingindustrie zu?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Recycling, Remanufacturing, Kaskadennutzung von Rohstoffen und Energie stehen im Zentrum der Ressourcenproduktivität. Unser Panel hat herausgefunden, dass heute die Recyclingraten praktisch aller Hochtechnologie-Metalle unterhalb von einem Prozent liegen. Da gibt es also noch riesige Hausaufgaben. Sie betreffen hauptsächlich das Design von Produkten, aber eine Kooperation der Produktdesigner mit der Recyclingindustrie ist sehr ratsam. Die strategische Verteuerung von Primärrohstoffen könnte der wirksamste Anreiz zur Beschleunigung dieser Entwicklung sein.
Wie viel Potenzial steckt Ihrer Meinung nach noch in der Kreislaufführung und wie kann dieses Potenzial in Deutschland beziehungsweise weltweit ausgeschöpft werden?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Grob gesagt: ein riesiges Potenzial. Aber man muss in die Details gehen. Das Recycling von Milligrammen von Palladium oder Ytterbium – einer seltenen unter den Seltenen Erden – ist unvergleichlich viel schwieriger als das Recycling von Tonnen von Eisen oder Aluminium. Beim Gerätedesign sollte dafür gesorgt werden, dass die Produktteile, die begehrte seltene Metalle enthalten, nach Gebrauch als ganze Teile wiederverwendet (Remanufacturing) oder leicht abgetrennt und der chemischen Separierung zugeführt werden können. Dann wäre schon viel gewonnen. Man kann aber auch aus der Müllofenschlacke vieles zurückgewinnen – allerdings mit einem energetischen Aufwand, der vermutlich größer ist als die Energieerzeugung der Müllverbrennungsanlage.
Sie empfehlen eine globale „Allianz der Gewinner“ – wie kann eine solche Allianz aussehen? Und welches Signal kann sie in der Weltwirtschaft setzen, um eine erneute Finanzkrise abzuwenden?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Nach meiner persönlichen Meinung ist die Finanzkrise auch eine Richtungssinnkrise des Fortschritts. Die Krise in den USA und in Spanien wurde hauptsächlich ausgelöst durch eine absurde Immobilienexpansion und die Kreditwirtschaft, die dieses Abenteuer finanziert hat. Jetzt sind die Investoren verwirrt und die Staaten klamm. Geld ist zwar genug da, und die Zinsen sind niedrig. Aber keiner weiß so recht, wohin damit. Mein Gedanke an eine Allianz versucht, einen neuen Richtungssinn zu etablieren: stetige, strategische Steigerung der Ressourcenproduktivität als Leitlinie des technischen Fortschritts. Eben ein Faktor Fünf, und langfristig ein Faktor Zehn oder Zwanzig. Es gibt zwei große Ländergruppen, die sich genau auf diese Linie verständigen könnten: die dichtbesiedelten Länder Europas und Asiens. Beide Ländergruppen können ihren Wohlstand gar nicht halten und steigern ohne saftige Steigerung der Ressourceneffizienz. Also sollten sie sich als Allianz zusammentun und möglichst Politiken beschließen, die sie schneller in die technologische Zukunft katapultieren als die Konkurrenz. Die USA, die in Rio de Janeiro als Bremser agiert haben, werden sich die Augen reiben, wenn sich die in Rio diskutierte, aber nicht ernstlich beschlossene „Green Economy“ in Europa und China plötzlich rasant entwickelt und Silicon Valley alt aussehen lässt. Das modernisierte Recycling könnte zum Markenzeichen einer solchen „Allianz der Gewinner“ werden.
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