Roland Matthes: „Dem Schwimmsport fehlt ein Uli Hoeneß“

Nach dem bislang desaströsen Abschneiden der deutschen Schwimmer bei den Olympischen Spielen in London hat Legende Roland Matthes (60) schonungslose Kritik am nationalen Verband, den Aktiven und Trainern geübt. „Glanz und Gloria unserer olympischen Tradition ist endgültig dahin“, sagte der erfolgreichste deutsche Schwimmer im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ (Freitagausgabe). „Schwimmen war nicht nur eine ost- und westdeutsche Tradition, sondern auch eine gesamtdeutsche. Doch seit 1992 in Barcelona werden die Leistungen kontinuierlich schwächer. Es ist traurig, aber wahr: Wir sind zu einem Schwimmentwicklungsland mutiert.“

Laut Matthes, der bei seinen drei Olympiastarts 1968, 1972 und 1976 insgesamt acht Medaillen gewann, krankt es an vielem. „Wir haben nicht genügend Athleten, die sich zerreißen, um in die Weltspitze kommen zu wollen, und auch nicht ausreichend Trainer, die aus den Sportlern Weltspitzenleistungen herausholen können“, stellt der viermalige Olympiasieger von 1968 und 1972 über 100 und 200 Meter Rücken fest. Es fehle auch an Teamgeist, der nur „vorgegaukelt wird“, und am Anspruchsdenken. „Ich wollte immer gewinnen, zumindest eine Medaille. Sonst wäre ich nicht gestartet“, sagt der gebürtige Erfurter, der heute im Unterfränkischen eine Praxis als Orthopäde betreibt. „Wer nicht die Chance hat, Sechster zu werden, sollte zu Hause bleiben und nicht zu den Spielen fahren und sagen: ‚Och, jetzt bin ich nominiert, werde eingekleidet, kriege tolle Klamotten und mache mir dort 14 Tage einen Bunten.’“ Bei den deutschen Athleten spüre man, dass sie „keinen Pepp, keinen Mumm, keine entschlossene Körpersprache“ haben. Matthes: „Es fehlt die Persönlichkeitsstruktur, die sich mit der Leistung entwickelt. Da helfen auch nicht die Jubelorgien, die sie veranstalten. Das ist doch alles nur verordnete Schauspielerei. Wahrscheinlich würden sie sich gern unter einen Regenschirm verstecken nach dem Motto: Hoffentlich sieht mich keiner. Es ist beschämend. Für mich als Steuerzahler empfinde ich das als rausgeschmissenes Geld.“ Das ganze System, die Strukturen, sagt Matthes, müssen radikal geändert werden. „Es muss endlich jemand kommen“, so der dreimalige Welt- und fünfmalige Europameister, „der auf den Schlamm haut und den Weg vorgibt. Der sagt: Ich bin hier der Diktator. Das muss wie in einer großen Firma sein. Wie bei VW oder Bayern München. Dem Schwimmsport fehlt ein Uli Hoeneß.“ Außerdem müsse es eine Konzentration der Kräfte geben. „Die Besten müssen zusammen trainieren. Nur tägliche, harte Konkurrenz bringt dich voran. Es muss Schluss sein, dass jeder sein Süppchen kocht, den anderen nicht in den Topf gucken lässt. Derartige Profilneurotiker dürfen im Team nichts mehr verloren haben“, sagt Matthes.