Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, hat seine Partei im Vorausblick auf die Bundestagswahl in einem Jahr schonungslos kritisiert. Die Union sei „kaum noch fähig, Standpunkte zu vertreten“, sagte Schlarmann dem „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe). Stattdessen mache es sich die Union mittlerweile „auf allen Ebenen, vom Bund bis zu den Kommunen, mit einer Politik des Durchlavierens bequem“.
Schlarmann bezog sich damit unter anderem auf den Umgang der Union mit den SPD-Forderungen nach einem einheitlichen Mindestlohn und einem höheren Spitzensteuersatz. „Wenn die SPD ein Thema setzt, bauen wir keine eigene Position mehr auf – wir laufen nur noch hinterher und passen uns an“, klagt er. Der SPD sei es auf diese Weise „jetzt schon auf zwei zentralen politischen Feldern gelungen, unsere Front auseinanderzubrechen“. Hintergrund ist eine Bundesratsinitiative der Thüringer Landesregierung von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) für die zügige Einführung eines einheitlichen Mindestlohns, die über einen zuvor ausgearbeiteten Parteikompromiss hinausgeht. Mehrere CDU-geführte Länder hatten zudem Sympathie für einen höheren Spitzensteuersatz erkennen lassen. Es sei „mit Händen zu greifen, dass die Bürger von uns mehr Orientierung in politischen Grundsatzfragen erwarten“, sagte Schlarmann. Genau dies bleibe die Union aber schuldig. „Die Folge ist, dass die Partei ihr Gesicht verliert“, warnte er. Mit einer „bürgerlichen Haltung“ habe dies nichts mehr zu tun. Anders als bei einer ähnlich markanten Wortmeldung an die eigenen Partei vor zwei Jahren rückte Schlarmann diesmal Parteichefin Angela Merkel (CDU) nicht direkt ins Zentrum seiner Kritik. Merkel habe die Führung. Doch es sei „die Verantwortung aller, dafür zu sorgen, dass wir nicht immer mehr zu einer unentschlossenen, ziellosen und lethargischen Partei werden“, sagte Schlarmann. „Das ist ein Warnruf.“ Er komme sich vor „wie in einem Saal, in dem alle betäubt sind“. Bei den Landtagswahlen seit 2011 hatte die CDU eine Serie zum Teil herber Niederlagen eingefahren. Nach dem Machtverlust an eine grün-rote Mehrheit in Baden-Württemberg im Frühjahr 2011 sackte sie unter anderem in Hamburg und Bremen auf historische Tiefstände ab. In diesem Frühjahr rutschte sie auch in Nordrhein-Westfalen auf ein Rekordtief von 26,3 Prozent. Der letzte Stimmungstest im Vorfeld der Bundestagswahl im September 2013 ist die Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar.