Eine Glosse über einen tatsächlichen Gerichtsfall.
Erfurt, 2. Juli 2012. Anlagegeschäfte sind bei wohlhabenden Menschen sehr beliebt aber auch riskant. Vielleicht auch wegen des Risikos beliebt. Wer weiß. „No risk, no fun“, so könnte die Parole der Finanzprofis (oder solche, die glauben, einer zu sein) lauten. Und solange mit der Anlage alles wie geplant läuft, sich die Versprechungen und Prognosen der Berater erfüllen und regelmäßige Renditeausschüttungen den eigenen Kontostand in die Höhe treiben, ist alles in Ordnung. Läuft aber etwas schief, fühlt sich der Anleger über den Tisch gezogen, belogen und betrogen, oder stellt sich heraus, dass man etwas gekauft hat, das man nicht wollte, etwas das die langfristigen Zielvorgaben, die man mit der Anlage erreichen wollte, nicht erreichen wird, so zieht man vor Gericht. Im Gepäck der Rechtsanwalt, dessen Engagement in direkter Proportion zum Streitwert steht. Vor dem Kadi beginnen die Parteien dann den Richterinnen und Richtern zu erklären, warum sie Recht haben und die Gegenpartei nicht. Die Anwälte zitieren bestehendes Recht, versuchen die gültige Rechtsprechung ihrer Auffassung anzupassen, sie zu verbiegen oder sie sogar neu zu definieren. Die Aufgabe des Gerichts ist nun die Wahrheitsfindung. Was ist wahr, was nicht? Die Verpflichtung zur Wahrheit ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Zu Beginn ihrer Amtszeit müssen Richterinnen und Richter in einer öffentlichen Sitzung einen Eid leisten und dabei sogar schwören nur der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu dienen. So steht das in Paragraf 38 im Richtergesetz. Das gilt auch für ehrenamtliche Richter, also zum Beispiel für Schöffen. Ob die Wahrheit wirklich immer gefunden wird, steht dabei nicht zur Debatte. Fest steht aber, dass alle Richter zumindest versuchen müssen die Wahrheit herauszufinden. Wirklich alle Richter?
Und hier beginnt – in Anlehnung an den Prolog der erfolgreichsten französischen Comicserie „Asterix“ – eine Geschichte, die zwar noch kein Ende hat, aber unbedingt erzählt werden muss. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden. Wohlgemerkt nur die Namen!
Iniurix will die Wahrheit nicht wissen.
Oder ganz schlicht: Az. 3 Ri AR 4/12 beim LG Chemnitz
Wir befinden uns im Jahre 12 nach der Jahrtausendwende. An allen Gerichten im Land sind die Richter der Wahrheitsfindung verpflichtet. Alle Richter an allen Gerichten? Nein! An einem Landgericht in einer westsächsischen Stadt (dass es sich dabei um Chemnitz handelt, wollen wir lieber verschweigen) hört ein Richter nicht auf, der Wahrheitsfindung Widerstand zu leisten.
Lassen Sie uns noch kurz etwas über die Personen sagen: Die Namen der Hauptdarsteller haben wir ans lateinische „angelehnt“ oder „verasterixt“. So steht Pecunia Querimonia für die „um Geld beklagte“, Honestus für „der Ehrliche“ und Iniurix schließlich für „der Unrechte“. Advocat Makilius heißt tatsächlich „fast“ so. Es ist ein Wortspiel aus Vor- und Nachname des betreffenden Anwalts.
Und hier beginnt endlich die Geschichte: Die Anlegerin Pecunia Querimonia hatte mit einer schweizerischen Finanz AG gute Geschäfte gemacht und bekam von dieser einen schönen Geldbetrag. Für den Geschäftsführer, den Präfekten Honestus, war die Zahlung an Pecunia auch völlig in Ordnung. Als Honestus allerdings nicht mehr seinen Posten bei dem schweizerischen Unternehmen hatte, glaubte sein Nachfolger, dass Pecunia das Geld nicht rechtmäßig bekommen hätte. Pecunia Querimonia ließ sich von der unangenehmen Post, die sie bekam, nicht beeindrucken und fand in Makilius, einem Advocaten aus dem thüringischen Jena, einen kompetenten Streiter für ihr Recht. Machen wir es kurz, der Fall kam vor das besagte Landgericht. Der ehemalige Geschäftsführer hatte in einem Schreiben erklärt, dass Pecunia ihr Geld rechtmäßig bekommen hatte und er sogar für eine Zeugenaussage nach Sachsen kommen würde. Unter dem Einzelrichter Iniurix wurde diskutiert und argumentiert, schlussendlich auch noch schockiert. Das große Finale der Verhandlung haben wir unter dem Motto „Iniurix will die Wahrheit wissen“ im „Bild“ festgehalten.
Makilius war schockiert. In seiner Laufbahn als Advocat hatte er schon viel mitgemacht; dass aber ein Richter ihn mit „die Wahrheit interessiert mich nicht“ konfrontiert, ließ ihn an der Fähigkeit des Richters zweifeln. Makilius wollte Richter Iniurix natürlich ablehnen und stellte deshalb ein Ablehnungsgesuch unter Beachtung der Paragrafen 43 und 44 der zivilen Prozessordnung. Die dritte Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz lehnte das Ablehnungsgesuch natürlich ab und erklärte unter anderem:
„Die Erklärung des angelehnten Richters, dass ihn die Wahrheit nicht interessiert, ist zwar zu monieren; sie begründet indes eine Richterablehnung nicht. Denn mit dieser Äußerung werden sowohl die Klägerin als auch die Beklagte beschwert.“
Und eine Seite später heißt es:
„Soweit die Beklagte … als Ablehnungsgrund vorgetragen hat, dass der Einzelrichter … die Ladung des vorgenannten Zeugen mit der Begründung, die Anreise des Zeugen aus der Schweiz wäre zu teuer, begründet, so kann dieses Vorbringen ebenfalls nicht dazu führen, dass Richter xx vom weiteren Verfahren auszuschließen ist.“
Nun gut. Fassen wir zusammen: Die Wahrheit braucht man vor Gericht nicht, weil sie ja beide streitenden Parteien betrifft (!?!?) und wenn der Richter meint, die Ladung eines Zeugen sei zu teuer, so hat man das hinzunehmen. Wie die Geschichte weitergeht, ist noch ungewiss. Interessant wäre es zu wissen, was passiert wäre, wenn unser Held Makilius vorgeschlagen hätte, die Anreise des „helvetischen Präfekten“ selbst zu finanzieren. Was zunächst bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Stellen wir uns nun noch die Schlussszene aus jedem Asterix-Heft vor: Da sitzen nun Iniurix und die Richter der Zivilkammer am runden Tisch, essen, trinken und feiern, während Makilius geknebelt und gefesselt am Baume hängt, damit er die Wahrheit nicht herausposaunt. Denn die Wahrheit will keiner der Anwesenden hören. Wir sind auf die nächste Ausgabe von „Iniurix“ gespannt.
Text und Zeichnungen: Uwe Hoffmann
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