Die Wirtschaft in Baden-Württemberg hat eine gemischte Bilanz des ersten Regierungsjahres der Landesregierung unter dem ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gezogen. „Der Ministerpräsident gibt sich als moderierender Landesvater, diese Rolle füllt er gut aus. Die von ihm propagierte Politik des Gehörtwerdens scheint im Land anzukommen“, sagte der Präsident des baden-württembergischen Industrie- und Handelskammertags, Peter Kulitz, „Handelsblatt-Online“.
Seitens der Landesregierung gebe es die Bereitschaft zum Dialog. „Es wurden eine Menge Dinge angestoßen.“ Allerdings sagte Kulitz auch, dass inhaltlich im ersten Jahr noch nicht allzu viel umgesetzt worden sei. „Zentrale Frage wird sein, ob es der Landesregierung gelingt, die Energiewende so umzusetzen, dass Energie für die Menschen und die Wirtschaft zu bezahlbaren Preisen sicher verfügbar bleibt“, sagte Kulitz weiter. Mit Sorge sehe er zudem die Bestrebungen in der Infrastrukturpolitik, insbesondere in der Verkehrspolitik, wo „weitgehend“ Stillstand herrsche. „Der eigentlich zuständige Minister (Winfried Hermann, Grüne) hat angekündigt, keine neuen Straßenbaumaßnahmen – außer Fahrradwege – angehen zu wollen und verweist lapidar auf die Finanzierungszuständigkeit des Bundes“, sagte der Wirtschafts-Experte. „Allerdings drängt sich nach wie vor der Eindruck auf, dass er durchaus nach Wegen sucht, Projekte zu behindern anstatt sie zu befördern.“ Eine starke Wirtschaft brauche aber ein leistungsstarkes Verkehrsnetz, betonte Kulitz. Ein gemischtes Fazit zu Kretschmanns bisheriger Regierungsarbeit zog der Präsident der Landesvereinigung baden-württembergischer Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt. „Die Bilanz von einem Jahr grün-roter Regierungsarbeit in Baden-Württemberg fällt durchwachsen aus, es gibt Licht und Schatten“, sagte Hundt „Handelsblatt-Online“. Es sei zwar gelungen in den vergangenen Monaten einen „guten Kontakt“ zur neuen Landesregierung aufzubauen. Aber: „Unsere Forderungen, die wir zu Beginn der Legislaturperiode formuliert haben, sind bislang nur in Ansätzen erfüllt.“ So wertete er es zwar als „positives Signal“ für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, dass beispielsweise die Gründung der ‚Allianz für Fachkräfte‘ gelungen sei. Doch müssten hier nun die richtigen Schwerpunkte gesetzt werden. Auch in der Bildungspolitik kommen viele Projekte nach Hundts Einschätzung nur schleppend voran, etwa der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagesschulen. „Die Bildungspolitik der Landesregierung verzettelt sich in zu viele Einzelmaßnahmen und verliert dabei zunehmend den Blick für das Wesentliche“, kritisierte der Arbeitgeberpräsident. Die Landesregierung zeige überdies zu wenig Einsatz für den Erhalt und Ausbau einer „leistungsfähigen und verlässlichen“ Infrastruktur in den Bereichen Verkehr und Energie.